NUR EINE HANDVOLL VERSE
das abgebrochene patience-kartenspiel
lippenstiftrouge am tequila-sunrise
die zerkratzte freddy-mercury-platte
ein eselsohr im dreigroschen-roman
lass es zu worte kommen,
das übersehene, überhörte, übergangene -
eine zweite chance
für das nur-so-nebenbei
AUF DER AVENUE DES BOULEVARDS
Teleobjektive und Kugelschreiber
erfinden Prominenz,
züchten sie, hofieren sie,
rollen den Roten Teppich aus
als ihre Dichter und Denker.
Teleobjektive und Kugelschreiber
zerknüllen Prominenz,
ächten sie, rangieren sie
hinten zur Hintertür hinaus
als ihre Richter und Henker.
NOCTURE
Dämmerung
löscht die Farben aus,
des Tages Melodie
von Stille übertönt –
stumm, grauschwarz
duckt sich das Dorf
in seine Gassen.
Dunkelheit
dreht ihre erste Runde,
verriegelt die Welt -
ein Steinkauz,
eine Parklaterne
halten sie auf Stand-by.
KURS AUF PERFEKTION
Wie über den unendlichen,
unendlich weiten dezimalstelligen Weg
der umherirrenden Kreiszahl Pi
in immer unendlichere,
unendlich entferntere Ferne -
aber trotzdem Schritt für Schritt näher ...
COMEBACK IN SEPIA
wie aus dem nichts
lohen sie auf,
irrlichtern umher,
bilder,
momente,
szenen,
die schnipsel alter tage.
ruchlos die verdammten,
wenn sie stacheln,
wenn sie nachwürgen,
dich noch immer
durch das fegfeuer treiben –
entzückt schillerndes
aber schwärmt,
berauscht und besessen
umbrandet es dich
und kobert zur nachspielzeit.
wie aus dem nichts
lohen sie auf,
schemenhaft oder glasklar -
doch lass sie quengeln,
lass sie drängeln,
buntfarbenes
ist längst schwarz-weiß
und schwarz-weißes
längst vergilbt ...
IN KREIDE AUF AZUR ...
... eskortierten sie den tag, über weite ozeane,
großstadt-silhouetten bis in das verwinkelste dorf,
mit ihren letzten büscheln, vom streunen
zerzaust und zerrupft, strickt der abend
seine gardine vor die nacht, lässt eine
masche fallen, als schlupfloch für den mond
CARMEN
(Georges Bizet /1875)
„L’amour est un oiseau rebelle
Que nul ne peut apprivoiser ...“ *
wenn er glutäugig gurrt,
immer enger seine Kreise zieht
um Wachsoldaten und Zigeunerinnen,
Teufelsweiber und Toreros
in der Nuttenschänke beim Manzanilla-Wein.
„L’amour est enfant de Bohême,
il n’a jamais, jamais connu de loi ...“ *
und das Leben mischt seine Karten,
lässt sie wirbeln durch die Lüfte,
kapriziös & flatterhaft,
denn die wahre Währung heißt Frei-Sein,
unabsehbar & hoch gepokert.
„Mais si je t’aime, si je t’aime,“
prends garde à toi!“ *
Ziehe Pik-Bube zum Nacht-Appell,
spiele Herz-Dame beim Seguidilla-Tanz:
Leidenschaft und Eifersucht bringt um.
Gegengift kann nur Mord sein,
der letzte Joker fehlt.
(* aus der HABANERA-Arie)
NATURE MORTE
eine nickelbrille ruht sich aus, das leo-tolstoi-
buch beim letzten kapitel / die raucherpfeife
schlummert schon länger im aschenbecher, ihr
nachtquartier neben der mandoline mit saiten-
sprung / zwischen wildäpfeln, gladiolen und
dem glas merlot flackert die kerze im rhythmus
der stille / und seit irgendwann zehn nach sieben
vertagt eine taschenuhr klammheimlich die zeit
TRAUM-TRIBULATIONEN
Rundum liegt die Nacht,
ein schlummernder Schleier,
wo Raum und Zeit versiegen -
bis sie aus ihrer Felsenhöhle funzeln,
Morpheus, Phobetor, Phantasos,
und dich durch ein Gestrüpp
von Wirrwarr und Wirrnis scheuchen.
du triffst nie den richigen ton auf der oboe, schwebst
aber über unzählige treppenstufen, splitternackt
auf die pariser champs-élysées / klemmst im labyrinth
der hinterhöfe, ohne wlan-verbindung, nur mit
dieser oboe / drehst deine ewigen kreise zwischen
den groupie-girls, sie als fibonacci-zahlenreihe, du
splitternackt / du, der graffitisprayer in den slums von rio,
ohne wlan-verbindung, ohne schlupfloch im zaun /
doch das spalier wird enger, die stufen steiler und
glitschiger, die oboe-töne barscher, greller, beißender ---
Rundum liegt die Nacht,
außer Atem, in Chaos und Scherben.
Wie im Taumel versuchst du noch
den Blick auf die Champs-Elysées zu greifen,
noch schnell das letzte Graffiti zu retten,
dich an die Schatten der Groupies zu klammern –
Aber Morpheus, Phobetor, Phantasos
sind schon längst mit der Blackbox entschwunden ...